Freigericht Baltschieder-Gründen
Das Gebiet des alten Zenden Visp war früher in vier Viertel eingeteilt. Zum ersten Viertel gehörten die Gemeinden Visp, Eyholz, Lalden, Baltschieder, Visperterminen und Zeneggen; zum zweiten Viertel Stalden, Staldenried, Grächen, Embd und Törbel; zum dritten Viertel die Talschaft Saas und die Gemeinde Eisten; zum vierten Viertel das Gebiet von Kipfen und die jetzigen Gemeinden Sankt Niklaus, Randa, Täsch und Zermatt.
Alle vier Viertel waren im Zendenrat gleichberechtigt. Die Gerichtsbarkeit im Zenden unterteilte sich jedoch in sechs Gerichtsterritorien, von denen jede ihre eigene Geschichte hat.
- Kastlanei Visp (früher Meiertum): umfasste die drei Viertel Visp, Stalden und Saas; Richter‑Titel: „Grosskastlan der löblichen drei Viertel Visp“. Als alter Brauch wird 1682 bzeichnet, jedes Jahr um das Fest der hl. Jungrau und Märtyrerin Katharina einen Kastlan zu setzen.
- Freigericht Baltschieder–Gründen (seit dem 17. Jh. im Besitz der Burgerschaft Visp).
- Meiertum Kipfen (zwischen Stalden und St. Niklaus).
- Meiertum St. Niklaus oder Chouson (Gasen), welches das Gebiet der heutigen Gemeinde Sankt Niklaus umfasste
- Meiertum Zermatt (frühere Herrschaft mehrerer Familien).
- Kastlanei Täsch–Randa.
Die ältere Geschichte des Freigerichts liegt im Dunkeln. Im 14. Jahrhundert gehörte die Gerichtsbarkeit der Familie von Raron–Ulrici.
Ulrich II. von Raron - aus dem mächtigen Geschlecht der Herren von Raron - 1261-1291 urkundlich erwähnt, erwarb 1287 von den Brüdern Jakob und Aymo von Saillon ihre Herrschaftsrechte in Visp und wurde Stammvater eines Zweiges der Familie von Raron, die sich nach seinem Urheber Uldrici, Ulrich, Ulrici nannte. Amadeus, Sohn Ulrichs II., 1300-1315 genannt, vermählte sich mit Salomea von Visp; dank dieser Heirat konnte er seine Güter in Visp vermehren, wo er sich niederliess. Sein Enkel, Johann Ulrich, 1361-1401 erwähnt, vertrat den Zenden Visp bei wichtigen Verhandlungen. Der gleichnamige Sohn des vorigen, 1401-1435 urkundlich erwähnt, wurde Zendenhauptmann; er hinterliess eine natürliche Nachkommenschaft, die im 16. Jahrhundert erlosch.
Es scheint, dass die Herrschaftsrechte der Ulrici - durch Erbschaft oder Kauf - zuerst an einige wenige Familien übergegangen ist, bevor sie, vermutlich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in den Besitz der Burgerschaft Visp kamen.
Für das 16. Jahrhundert sind drei Richter namentlich bekannt, von denen jedoch einige noch namens der Familie Ulrici amteten: Stephan Zentriegen aus Raron, Burger von Visp, heisst 1546 und 1548 „Richter an der Grinden für den edlen Ulrich selig“ .
Notar Caspar Albertiny stellt 1559 als “Judex apud Pontzirren et anden Grinden“ einen Vogtbrief aus. Johann Riedgin, alt Landvogt vom Hochtal, wird 1577 Richter über Baltschieder und Gründen genannt und heisst noch 1581 “Prodominus apud Pontsirri“.
Im 17. Jahrhundert wird mit Jodok Summermatter, Burgermeister von Visp und Familiaris des Landeshauptmanns Zuber, erstmals der Titel “Kastlan“ verwendet. Er heisst 1627 und 1635-1637 amtierender Kastlan von Baltschieder.
Die niedere und hohe Gerichtsbarkeit über Baltschieder-Gründen befand sich spätestens 1620 im Besitz der Burgerschaft Visp. In diesem Jahr findet sich in den Protokollbüchern erstmals ein Beschluss bezüglich des Freigerichts. In den folgenden Jahren kamen weitere hinzu:
Zeitleiste
Beschlüsse und Praxis (17. Jahrhundert)
- 1620: Der Kastlan von Baltschieder soll Nachtkastlan sein, mit Rechten wie jener von Sitten.
- 1623: Gerichtstag von Samstag auf Dienstag verlegt; Kastlan soll nebst den Nachtbussen auch das Brotgewicht kontrollieren.
- 1645: Von der Hinterlassenschaft eines verstorbenen Unehelichen und anderen in Malefiz verfallenen in der Jurisdiktion der Herren Burger, verfallen die Fahrhabe dem Kastlan, das Liegende über die Gerichtskosten den Burgern von Visp.
- 1646: Die Kastläne des Freigerichts sollen alle 3 Jahre neu besetzt werden. Nebst dem Kastlan werden bei den Gerichtssitzungen je ein Burger aus jedem Drittel der Burgschaft Visp, sowie der Gerichtsschreiber zugegen sein. Die Wahl zum Kastlan erfolgte an der alljährlichen österlichen Burgerversammlung.
Der Fall Johann Fellmatter (1681)
Der bisher einzig bekannte Fall mit Todesurteil durch den Kastlan des Freigerichts betraf Johann Fellmatter aus dem Saastal (wohnhaft in Gründen). Nach Geständnis (unter Folter erweitert) wurde er am 17. Juli 1681 wegen Mordes und Hexerei zum Feuertod verurteilt; der Bischof von Sitten wandelte die Strafe am 21. Juli 1681 in die Enthauptung um.
„… gestand – unter der Folter – vor der Mordtat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen … Am 17. Juli 1681 verurteilte Kastlan Nikolaus Kreuzer … den Johann Fellmatter … zum Feuertod. Der Bischof … begnadigte … zum Tode durch das Schwert.“
Bussenregelung (1727)
Ein im Jahr 1727 gefasster Beschluss regelte die Aufteilung der vom Kastlan ausgesprochenen Bussen:
"Die Castlani der Jurisdiktion Baldschieder undt Grinden ist zwar von altem in ganz andrer ordonans gewesen, jez aber der Castlan undt ambsman gar andre kosten aussthragen muos, aus deren anschor ihme alle buossen, straffen undt Nuzbarkeiten mit einhelieger stim der herrn burgeren ist zu erkant, soll auch befreit sein der Burgerschaft einige rechenschafft ab zu statten."
Zendenrat und Alt‑Kastläne (1772/1773)
An der Zendenratsversammlung im Januar 1772 verlangten einige der Gewaltshaber der drei Viertel, dass man die Alt-Kastläne des Freigerichts Baltschieder-Gründen von der Versammlung und der später stattfindenden Mahlzeit ausschliessen solle. Der Visper Burgermeister protestierte gegen dieses Vorhaben und man verschob den Entscheid auf das nächste Jahr.
Bis zur Versammlung vom 7. Januar 1773 hatten sich die Wogen bereits wieder geglättet. Wie im Protokoll zu lesen ist, hatte man sich des Friedens Willen einigen können, nebst dem amtierenden Kastlan auch zwei Alt-Kastläne - ohne Stimmrecht - an der Zendenratsversammlung teilnehmen zu lassen. Auch an der vom Grosskastlan gestifteten Mahlzeit waren sie wieder willkommen.
„Wegen dene alten Hrn Castlänen des freygerichts Baldzieder und Gründen (da die Hrn Gwaltshaber Löbl. 3 4tlen selbe wollten ausschliessen vom Zehnden Rath und übrigen mahlzeiten des Hr. Richters, wie das bis dato von unbedencklichen Jahren jeweill und allzeit gepflegt worden) haben sich eine hochweise Obrigkeit, und sammentliche Hrn Vorstehnder under Gwaltshaber Löblicher Vier Viertlen unseren Liebwertesten Zehnden auf Lieb des fridens und pro bono pais einmüthig erkläret, das inskünftig nebst dem Castlan im Ambt auch noch zwey alte Castlän von gedachten freygericht aber nicht mehr, im Zehnden Rath jedoch ohne stim können beywohnen und sich einbefinden, des gleichen auch bey denen Mahlzeiten de Hrn. Richters Löbl. 3 4tlen als nemlich in jenen gelegenheiten, in welchen bis dato gepflegt worden, selbige darzu einzuladen.“
Ende des Freigerichts (1798)
Mit dem Einfall der Franzosen und dem politischen Umsturz von 1798 endete das Freigericht Baltschieder–Gründen.
Die Kastläne des Freigerichts (Auszug)
| Jahre | Name / Funktion |
|---|---|
| 1546, 1548 | Stefan Zentriegen – Richter an der Grinden |
| 1559 | Kaspar Albertin – Richter von Baltschieder und an den Gründen |
| 1577, 1581 | Johann Riedgin – (Mit‑)Richter von Baltschieder/Gründen |
| 1627; 1635–1637 | Jodok Summermatter – erstmals Titel „Kastlan“ |
| 1641–1643 | Thomas Venetz |
| 1644–1646 | Georg Zuber (†1646) |
| 1646–1649 | Bartholomäus Venetz (†1669) |
| 1657–1659 | Sebastian Zuber (†1659) |
| 1659–1661 | Adrian Zuber (†1678) |
| 1661–1664 | Theodul Andenmatten (†1670) |
| 1664–1666 | Johann Jodok II. Venetz (1605–1673) |
| 1666–1669 | Johann Nikolaus In Albon (†1681) |
| 1669–1672 | Johann Wiestiner (†1685) |
| 1672–1675 | Bartholomäus Sterren (†1689/1699) |
| 1675–1678 | Theodul Lochmatter (†1689) |
| 1681–1684 | Nikolaus Kreuzer (†1687) |
| 1684–1687 | Philipp Jakob Venetz (†1719) |
| 1690–1693 | Johann Gabriel In Albon (†1708) |
| 1693–1696 | Johann Joseph Venetz (1667–1703) |
| 1696–1699 | Sebastian Zuber (†1725) |
| 1699–1702 | Johann Bartholomäus Sterren (1672–1721) |
| 1705–1708 | Felix Mathias Zuber (1676–1746) |
| 1717–1720 | Peter Kalbermatten (1664–1744) |
| 1726–1729 | Johann Joseph Zuber (1691–1759) |
| 1732–1735 | Johann Ritter (1661–1745) |
| 1744–1747 | Johann Jodok Flanzetter (1717–1762) |
| 1747–1750 | Johann Joseph Lochmatter (1708–1763) |
| 1750–1753 | Stephan Sterren (1713–1781) |
| 1753–1756 | Johann Jakob Ruppen (1726–1795) |
| 1756–1759 | Johann Joseph Flanzetter (1728–1763) |
| 1759–1762 | Franz Peter Schallbetter (1701–1773) |
| 1762–1768 | Peter Joseph Andenmatten (†1779) |
| 1768–1774 | Joseph Ignatz Lang (1735–1803) |
| 1774–1780 | Johann Jakob Ruppen (1726–1795) |
| 1780–1783 | Johann Peter Ruppen (1713–1792?) |
| 1783–1789 | Johann Theodul Wyer (1739–1801) |
| 1789–1795 | Peter Joseph Wyer (1764–1804) |
| 1795–1798 | Joseph Ignatz Lang (1764–1824) |
| 1798 | Franz Joseph Andenmatten (1749–1814) |
„Das Freigericht Baltschieder–Gründen“, N. Pfaffen, Visp, 15.04.2004

